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"Für mich da": Haben Sie am Dienstag schon was vor?

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Serie Mein Pfarrer, Dieter Junker, Cochem

Foto: Dieter Junker

Rüdiger Lancelle in der evangelischen Kirche in Cochem

Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Rüdiger Lancelle hat durch Pfarrer Gerd Graf aus Cochem eine Heimat in der Kirche gefunden.

In Cochem und an der Mosel ist er eine Institution, und für viele ist er das Gesicht der Protestanten: Rüdiger Lancelle. Wie mit kaum einem anderen verbinden die Menschen in der Region mit ihm die evangelische Kirche, aber auch diakonisches und ökumenisches Engagement. Mehr als 40 Jahre war er Mitglied des Presbyteriums der örtlichen Kirchengemeinde, lange Jahre auch dessen Vorsitzender. Er gehörte bis zum Erreichen der Altersgrenze dem Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises Koblenz an, war Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, seit 1973 zudem ordinierter Prädikant.

"Dass dies alles so gekommen ist, habe ich dem damaligen Cochemer Pfarrer Gerd Graf zu verdanken. Für mich war er immer ein großes Vorbild. Und ohne ihn hätte ich wohl kaum den Weg in die Kirche gefunden", sagt Rüdiger Lancelle heute.

Denn als er 1967 als junger Realschullehrer an die Mosel kam, sah es wirklich nicht danach aus, als würde er einmal die evangelische Kirche in dieser Region so nachhaltig prägen. "Ich war damals unkirchlich, nach meiner Konfirmation hatte ich den Kontakt zur Kirche völlig verloren", erzählt Lancelle. In Wuppertal aufgewachsen, wurde er in Kriegszeiten getauft, "von einem Kriegspfarrer, wie es auch in meiner Taufurkunde noch verzeichnet ist", sagt er schmunzelnd. Später sang er in einem evangelischen Knabenchor und erhielt bei Auftritten immer wieder seinen Nachweis für den sonntäglichen Gottesdienstbesuch. "Ansonsten hab ich an den Konfirmandenunterricht keine besonderen Erinnerungen. Geprägt hat er mich jedenfalls nicht", sagt er rückblickend.

Gebratene Leber mit Rotkraut und Apfelringen

Rüdiger Lancelle begann ein Studium an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Hier engagierte er sich im "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS), 1960 wechselte er an die Freie Universität Berlin, wo er der erste "Bürgermeister des Studentendorfes Schlachtensee" im Südwesten Berlins wurde. Mitte der 1960er Jahre ging er wieder zurück an die Uni in Frankfurt, um Realschullehrer für Mathematik und Biologie zu werden, 1967 bekam er eine Stelle an der neu gegründeten Realschule in Cochem.

Führerscheinfoto von Rüdiger Lancelle 1971
Nach dem Studentenleben im Großstadtumfeld nun an die beschauliche Mosel. "Das war schon ein ziemlicher Kulturwechsel", meint Rüdiger Lancelle. Plötzlich war Anzug Pflicht, vom Landrat wurde er gemaßregelt, weil er als Lehrer auf dem Marktplatz in Cochem ein Eis schleckte. "Hier war damals vieles doch sehr anders, daran musste ich mich erst gewöhnen."

Kurz nach seiner Ankunft in Cochem erhielt Lancelle Post. "Ich fand eine Einladung des evangelischen Pfarrers zum Mittagessen in meinem Briefkasten", erinnert er sich. "Pfarrer Graf meinte damals, ein evangelischer Lehrer hier in unserer Stadt, das ist ein wahrer Diamant", so Lancelle. Jedenfalls wollte der Pfarrer den jungen Lehrer kennenlernen, und auch ihm kam die Einladung durchaus passend. "Sowas lässt sich ein Junggeselle doch gerne gefallen", erzählt Lancelle schmunzelnd.  Und so saß er dann am nächsten Dienstag im Pfarrhaus in Cochem bei gebratener Leber mit Rotkraut, Apfelringen und Kartoffelbrei.

Auf dem Heimweg zermarterte sich Rüdiger Lancelle den Kopf, wie er sich für diese Einladung revanchieren könnte. "Den Pfarrer in meine kleine Bude einladen, das war nicht möglich. Ich entschied, dann gehst du am Sonntag in die Kirche", beschloss er. Gesagt, getan. Am Sonntag saß er in der Kirchenbank und hörte die Predigt von Pfarrer Graf über eine Bibelstelle aus den Paulus-Briefen. "Gerd Graf war ein begnadeter, faszinierender Prediger, ich war gefesselt", erinnert er sich noch heute an dieses Erlebnis. Nach dem Gottesdienst stand Pfarrer Graf am Kirchenportal, bedankte sich bei Rüdiger Lancelle für den Gottesdienstbesuch und fragte: "Haben Sie denn am Dienstagmittag schon was vor…?"

"Ich verspüre große Hochachtung vor diesem Mann"

Und so kam es, dass dienstags Rüdiger Lancelle im Pfarrhaus speiste, sonntags er dann in der Kirche saß. "Am Dienstag gab es die leibliche, am Sonntag die geistliche Kost", sagt er heute dazu schmunzelnd. Das sollte sein Leben verändern. "Ich war immer wieder begeistert, wie Pfarrer Graf Bibeltexte auslegte und mir so den Glauben näher brachte", so Lancelle.

Pfarrer Gerd Graf
Er begann, im Kirchenchor mitzusingen, 1972 wurde er gefragt, ob er nicht Presbyter werden wollte. Und als 1973 im Kreissynodalvorstand ein Platz frei wurde, schlug Pfarrer Gerd Graf den Lehrer aus Cochem vor. Da die Kirchengemeinde Cochem mit 2000 Evangelischen in 77 Dörfern von einer Diaspora-Situation geprägt war und Pfarrer Graf als Prediger Entlastung suchte, wurde Lancelle zudem im gleichen Jahr Predigthelfer. Ordiniert hat ihn Pfarrer Graf. "Er war damals Mentor und Vorbild für mich, und das kinderlose Pfarrersehepaar kümmerte sich rührend um den jungen Lehrer", erzählt er im Rückblick.

Pfarrer Graf, der aus dem Bergischen Land stammte, blieb bis 1983 in der Kirchengemeinde Cochem. Auch danach riss der Kontakt zwischen Rüdiger Lancelle und Gerd Graf nicht ab, sie trafen sich immer wieder, bis Gerd Graf im August 2006 im Alter von 88 Jahren in einer Senioreneinrichtung in Vallendar verstarb. "Ich verspüre noch heute eine große Hochachtung vor diesem Mann, der ein ungeheures Arbeitspensum als Gemeindepfarrer, als Seelsorger, aber auch im Kirchenkreis an den Tag legte", sagt Rüdiger Lancelle. "Ohne ihn wäre mein Leben vielleicht völlig anders verlaufen. Und dass die evangelische Kirche für mich zu einem großen Stück Heimat geworden ist und die Gemeinde vor Ort sogar so etwas wie meine Familie, wo ich mich wohlfühle, daran hat Pfarrer Gerd Graf einen ganz großen Anteil."


"Für mich da": Kirchturmklettern in Hamburg

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Serie Mein Pfarrer, Katrin Wienefeld, Für mich da

Foto: Katrin Wienefeld

Die Bank ist auf Initiative von Birgit John aufgestellt worden, damit sich die Leute bei der Abendmusik hinsetzen können. (Der Gipsfuß kam danach und hat nichts mit dem Kirchturmklettern zu tun...)

Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Die Hamburgerin Birgit John und ihre Pastorin Cornelia Blum gehen gemeinsam durch dick und dünn, steigen in die Elbe oder auf den Kirchturm.

Wenn Birgit John von ihrer Pfarrerin erzählen soll, weiß sie nicht, wo sie anfangen soll. Bei der Fahrradtour über die Elbe zur Nachbargemeinde, als ihnen die Hafenarbeiter nachpfiffen, weil die Pastorin im Minirock radelte? Bei den abenteuerlichen Turmbesteigungen, um das Werk der Kirchenuhr nachzustellen, John und die Pastorin in 25 Meter Höhe? Beim Rothenburgsorter Elbbadetag, als beide trotz des kühlen Hamburger Augustwindes unerschrocken in den Fluss stiegen und badeten? Oder dass sie endlich wieder zur Kirche gehen mag? "Es ist einfach so, seit Frau Blum da ist, macht Kirche wieder Spaß", sagt die 63-jährige John, die lächeln muss, sobald sie an all die Erlebnisse denkt.

Birgit John, eine waschechte Hamburgerin, die als Kind in der Elbe bei Moorburg noch das Schwimmen lernte und oft einen Ölfilm um den Hals davon trug, wohnt in Hamburg-Rothenburgsort und die Beziehung zwischen ihr und ihrer Pfarrerin hat mit diesem Stadtteil zu tun. Denn das Arbeiterviertel nahe der Elbe mit seinen schmucklosen Nachkriegsbauten, Gewerbegebieten und Bahngleisen, wo es nur Discounter zum Einkaufen gibt, hatte über Jahre keine feste Pfarrstelle. Bis zu dem Tag vor zwei Jahren. An einem trüben Januarsonntag hielt Pastorin Cornelia Blum ihren ersten Gottesdienst in der Gemeinde, Birgit John war das erste Mal seit langem wieder mit Freunden in der St. Thomas-Kirche an der Hauptstraße. Es war wohl so, dass der Funke gleich übersprang. "Vielleicht, weil sie so eine Ausstrahlung hat. Manchmal ein bisschen, als ob sie dein bester Kumpel ist. Wir waren hellauf begeistert", erinnert sich John.

"Ich bin mit offenen Armen empfangen worden"

Die Gemeinde ist mit rund 1800 Mitgliedern klein, wie der Stadtteil, der zu den ärmsten der Hansestadt gehört. Nur knapp 9000 Menschen leben dort, die Hälfe von ihnen mit Migrationshintergrund. Doch es gibt eine rege Nachbarschaft und eine fitte Stadtteilinitiative namens "Hamburgs wilder Osten", die sich einmischt und jährlich Elbbadetage organisiert. Die Pfarrstelle der evangelischen Kirchengemeinde aber war vier Jahre lang vakant, acht Jahre gab es nur eine halbe Stelle. Birgit John, die durch Zufall in das Viertel neben den Elbbrücken gezogen war, kam mit dem alten Pastor nicht zurecht. Sie entdeckte die  Flussschifferkirche, die nah bei in einer Bucht lag, und deren tollen Pfarrer. Doch dieser starb und die Flussschifferkirche wurde in den modernen Cityhafen verlegt.

Die St. Thomas-Kirche in Hamburg-Rothenburgsort

Birgit John ließ sich nicht entmutigen. "In der St. Thomas-Kirche wurde die Gemeindearbeit mittlerweile von Vertretungspastoren gemacht. Viele junge, viele sehr nette waren dabei", meint sie, "doch kaum hatte ich mich an einen Pastor gewöhnt, war er schon wieder weg". Die Kirche war wenig präsent im Stadtteil, bis der Kirchenkreis entschied, die Pfarrstelle wieder voll zu besetzen unter der Bedingung, die Gemeinde des angrenzenden Stadtteils Veddel einzubeziehen.

Auch Cornelia Blum erging es wie den meisten Hamburgern, die ja nur das Äußere von Rothenburgsort sehen können. "Ich erinnere mich noch genau. Es wirkte vor ein paar Jahren so trist hier, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, herzuziehen", sagt die 46-jährige Pastorin, eine Frau mit kurzem Haar und offenem Gesichtsausdruck. "Dieses Urteil muss ich total revidieren und das liegt an den Menschen, die hier wohnen. Ich bin mit offenen Armen empfangen worden", sagt die Pastorin. "Die Rothenburgsorter machen mit, es ist keine mühsame Arbeit, bei der ich ständig etwas anschieben muss. Frau John ist eine von ihnen. Sie kam regelmäßig zum Gottesdienst und irgendwann habe ich sie angesprochen, ob sie Lust hätte, ehrenamtlich mitzuhelfen.“ Mittlerweile kümmert sich Birgit John um die Dekoration in der Kirche und den Schlüsseldienst für den Turm. Ansonsten hilft sie immer da, wo Not an der Frau ist.

Pastorin Cornelia Blum (li.) und Birgit John beim Sommerfest

Der kleine Stadtteil und die patente Pfarrerin passen gut zusammen. Im Juli gestaltete Blum den Jahrestag des Feuersturms von 1943 mit, für Rothenburgsort ein Schicksalstag, denn der Ort war fast vollständig zerstört worden. Im Sommer radelte man gemeinsam zur Nachbargemeinde und die Kontakte wurden enger. Nicht zuletzt, weil Blum ein offener Mensch ist. "Ich gehe als Pastorin gern in Kontakt mit den Menschen. Und was ich wirklich gut kann, ist Seelsorge bei Sterbefällen", sagt die 46-Jährige, deren Mann, ebenfalls Pastor, mit ihr nach Rothenburgsort zog. Als kurz nach ihrer Ankunft eine Angehörige von Birgit John starb, stand die Pastorin der Familie bei. "Frau Blum macht eine gute Seelsorge, das habe ich am eigenen Leib erlebt", sagt Birgit John. 

Abendmusik vom Kirchturm

Und dann kam die Sache mit der kaputten Turmuhr. Weil das Uhrwerk aus dem Takt geraten und es zu teuer war, einen Fachmann anreisen zu lassen, organisierte die praktisch denkende Pastorin ein Team, das in 25 Metern Höhe das Werk richtete - die Anweisungen gab der Uhrmacher per Telefon durch. Wenn Birgt John an die Kletterei denkt, muss sie heute noch lachen. Sie freut sich, dass die Kirche wieder ein fester Anlaufpunkt im Viertel geworden ist. Ein Projekt allerdings würde sie gern noch anschieben: die Jugendarbeit. "In Rothenburgsort gibt es einen tollen Konfirmandenunterricht. Da müsste sich etwas anschließen, damit die Konfis bei der Stange bleiben", meint sie.

Aber nun zückt sie den Schlüsselbund, denn ihr liebstes Ehrenamt beginnt: der Schlüsseldienst für die Abendmusik. Damit die Kirche mehr wahrgenommen wird, hat die Pastorin Musiker organisiert, die unentgeltlich jeden Freitagabend für eine Viertelstunde auf dem Turm Posaune spielen. Kurz vor sechs Uhr erscheint der Posaunist und steigt mit Birgit John die steilen Stufen hinauf. Als das Glockenläuten aufhört, öffnet John das Fenster und der Musiker beginnt zu spielen. "Englische Abendlieder, so etwas gibt`s in Hamburg nur im Michel", seufzt Birgit John. Sie ist schon ein bisschen stolz auf ihre Gemeinde. Unten auf dem Bürgersteig bleiben Spaziergänger stehen, ein Radfahrer stoppt, alle blicken hoch. Die Kirche in Rothenburgsort macht sich bemerkbar.

Ein Beitrag zum Religionsfrieden?

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Kopftuch in der Schule

Foto: epd-bild/Werner Krüper

Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen ist rechtswidrig. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. chrismon-Redakteur Eduard Kopp meint: "Das neue Kopftuchurteil kneift vor den alten Streitfragen."

Freiwilligendienste zwischen Kommerz und Tourismus

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Freiwilligendienst

Foto: Getty Images/iStockphoto/zakokor

Als Freiwillige ins Ausland gehen, das machen viele. Doch mit wem und wohin ist die entscheidende Frage. Denn nicht alle Anbieter sind gleich, nicht alle sind seriös.

Tabea liegt voll im Trend: sechs Wochen lang war sie nach ihrem Abitur in Indien. Schule, Ausland, dann Studium: "Mir war es wichtig, etwas zu machen, mit dem ich Menschen helfen und meinen eigenen Horizont erweitern kann", sagt Tabea. Sie half in einer indischen Grundschule im Mathematik- und Englisch-Unterricht. Allein mit dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst weltwärts, den das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2008 ins Leben rief, reisten bislang etwa 20.000 Freiwillige zwischen 18 und 28 Jahren in 80 Länder. Dort engagierten sie sich ehrenamtlich etwa im Bereich von Schule und Bildung, Kultur und Sport, Menschenrechte und Frieden, Umwelt und Landwirtschaft.

30,5 Millionen Euro will das BMZ 2015 für weltwärts ausgeben. Längst gibt es neben den rund 180 entwicklungspolitisch tätigen Entsendeorganisationen, die als gemeinnützig anerkannt sind und nach Qualitätsgrundsätzen der Agentur Quifd arbeiten, etwa 400 kommerzielle Anbieter. In ihrem Angebot werben sie um junge Kunden mit touristisch attraktiven Zielen an denen man Gutes tun kann. Einer davon ist VoluNation, gegründet im Jahr 2005.

Zur Auswahl steht bei VoluNation die Mitarbeit in Schulen, Waisenhäusern, medizinischen Einrichtungen oder ökologischen Projekten, Hilfsangebote für Straßenkinder oder Fördereinrichtungen für Frauen. Pressesprecher Christoph Sonnenberg-Westeson sagt: "Die jungen Leute wollen helfen. Sie wollen eintauchen in eine fremde Kultur, Land und Leute kennenlernen, Freundschaft mit anderen Freiwilligen schließen, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern."

"Marktlücke": schnelle Ausreise

Ganz vorn auf der Hitliste der Reiseziele stehen "Exoten" wie Südafrika, Nepal, Peru und Costa Rica. An Wochenenden haben die jungen Freiwilligen Gelegenheit, touristische Highlights kennenzulernen. So schwärmt etwa Benjamin, der als Fußballtrainer bei einem lokalen Verein in Ghana arbeitete und an einer Mädchenschule Englisch unterrichtet davon, dass "man wilde Tiere sieht oder sogar auf einem echten Krokodil sitzt und Affen mit Brot füttert".

Viele Freiwillige, so Christoph Sonnenberg-Westeson, bringen als Jugendleiter in Gemeinden oder Vereinen Erfahrung mit ehrenamtlichem Engagement und Bewusstsein für poltische und soziale Verhältnisse mit. Lässt sich so womöglich erklären, dass es bei VoluNation keine intensiven Vorbereitungsseminare gibt? "Jeder Freiwillige hat nach seiner Ankunft ein kurzes Vorbereitungsseminar. Mitarbeiter der Projektpartner bringen dort das wichtigste über Land, Kultur und die Projekte bei", so VoluNation-Mitarbeiterin Sophie Thiel. Wer genau die Projektpartner in den 15 Ländern Asiens, Afrikas und Mittel- und Lateinamerikas sind, mag Pressesprecher Sonnenberg-Westeson nicht preisgeben. Das sei "geheim".

Anders als bei der Ausreise mit gemeinnützigen Entsendeorganisationen ist bei vielen kommerziellen ein Einsatz nicht erst ab 18, sondern schon ab 17 Jahren und schon für einen Zeitraum von einer Woche möglich. Die Ausreise klappe manchmal schon innerhalb von zwei Wochen, was eine weitere Besonderheit bei VoluNation sei. Damit, so Christoph Sonnenberg-Westeson, habe man eine "Marktlücke" getroffen.

"Von kommerziellen Anbietern raten wir ab"

Natürlich hat die Reise mit einem kommerziellen Vermittler ihren Preis. Wie hoch der ist, wird oft erst bei der Anmeldung wirklich klar. Die Kosten für einen Reisevermittlungsvertrag inklusive Anmeldepauschale, Unterbringung und Betreuung vor Ort liegen bei VoluNation je nach Dauer und Einsatzland zwischen 335 Euro für eine Woche Nepal und 5960 Euro für 50 Wochen in einem südafrikanischen Township. Kosten für Flug, Visa und Versicherung kommen hinzu. Eine genaue Aufschlüsselung, wohin die Teilnehmerbeiträge fließen, dürfe man nicht veröffentlichen, sagt Mitarbeiterin Sophie Thiel. 90 bis 95 Prozent gingen aber ins Zielland.

Bei Freiwilligeneinsätzen über "weltwärts", die zwischen mindestens sechs und 24 Monate dauern, übernimmt das BMZ alle Kosten für Vorbereitungsseminare, Flug, Versicherungen und Taschengeld und es entstehen keinerlei Vermittlungsgebühren. Der bei vielen kommerziellen Anbietern mögliche kurze und kurzfristige Einsatz lässt Fachleute wie Rhoda Lynn Gregorio, Projektleiterin des entwicklungspolitischen Freiwilligenprogramms der Vereinten Evangelischen Mission, (VEM) allerdings die Stirn runzeln: "Es braucht Zeit, bis man in einer fremden Kultur angekommen ist. Wir haben 30 Jahre Erfahrung im Nord-Süd Freiwilligendienst. Sechs Monate sind aus unserer Sicht das Minimum, um in einer fremden Kultur anzukommen."

Anbieter gesetzlich geregelter Programme bieten deshalb Seminare von mindestens zwölf Tagen an. Zudem gibt es im Partnerland eine Einführung von mindestens fünf Tagen. Nach der Rückkehr bieten Seminare Gelegenheit zur Reflexion und zum Austausch mit anderen Freiwilligen. "Die kommerziellen Vermittler sparen bei der Vorbereitung und Begleitung der Freiwilligen, deshalb raten wir generell davon ab", so Robert Helm-Pleuger, langjähriger Projektkoordinator beim europäischen Jugendinformationsnetzwerk Eurodesk Deutschland.

Wie prüfe ich die Seriosität?

Wer mit einer weltwärts-Entsendeorganisation ausreist, soll im Vorfeld einen Unterstützerkreis von zehn bis 15 Spendern aufbauen, die sich bereiterklären, den Einsatz mit monatlich mindestens zehn Euro zu unterstützen. So bleibt der Freiwilligendienst weder Privatvergnügen noch "Volun-Tourismus", sondern hilft, Bewusstsein und Engagement zu schaffen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ein noch so gut gemeinter Freiwilligeneinsatz womöglich lediglich ein folgenloser exotischer Urlaub in Armut und Elend bleibe, sagt Barbara Krämer, Referentin bei der Konferenz evangelischer Freiwilligendienste der EKD.

Robert Helm-Pleuger rät, die Seriosität der Anbieter von Freiwilligendiensten im Ausland mit Hilfe folgender Kriterien zu prüfen: Wie lange ist ein Anbieter schon auf dem Markt? Welche Kosten werden übernommen oder sind im Preis eingeschlossen? Wer zahlt Reisekosten, Unterbringung, Verpflegung, Versicherung und Visa? Gibt es vor Ort Beratung und Betreuung? Wie wird der Einsatz vor- und nachbereitet? Wer sind die Projektpartner im Ausland? Wohin fließt das Geld? Gibt es einen Dachverband, Qualitätssiegel und Standards?

Ab dem 16. März 2015 können alle Interessierten ihre Einsatzstelle für einen Freiwilligendienst in evangelischem Umfeld auf dem neuen Portal ein-jahr-freiwillig.de entdecken.

"Für mich da": Selbstbewusstsein aus dem Schlauchboot

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Serie Für mich da, Cornelia Kurth, Mein Pfarrer, Philipp Arndt

Foto: Cornelia Kurth

Pfarrer Heiko Buitkamp und Philipp Arndt

Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Philipp Arndt schaffte es, trotz seiner Behinderung Selbstvertrauen zu fassen und seine Stärken zu entdecken – dank zweier Pastoren in Rinteln.

Als Philipp Arndt (24) getauft wurde, geschah das nicht sonntags in einem offiziellen Taufgottesdienst, sondern an einem stillen Samstagnachmittag in der evangelisch-reformierten Jakobi-Kirche in Rinteln an der Weser. Das Baby hatte da schon seine erste Operation überstanden und viele weitere sollten noch folgen. Die Eltern wussten, dass ihr Kind es nicht leicht haben würde im Leben. Durch einen seltenen Gendefekt, das Apert-Syndrom, war Philipp Arndt mit verkrüppelten Händen und Füßen zur Welt gekommen, mit einer offenen Gaumenspalte und zusammengewachsenen Schädelknochen, die bewirkten, dass sich Kopf, Augen und Mund des kleinen Jungen extrem verformt hatten. Seine Familie war einfach nur froh, dass der Pastor, Martin Hausmann, ihnen einfühlsam anbot, in dieser beängstigenden Situation die Taufe in kleinem Kreis zu feiern.

"Die anderen und wie sie mich sehen, ja, das war immer schwer und ist es auch heute oft noch", sagt Philipp Arndt. "Ich weiß, dass viele mich nicht nur für körperlich, sondern auch für geistig behindert halten. Lange Zeit gab es für mich nur zwei Orte, wo ich das Gefühl hatte, nichts beweisen zu müssen: meine Familie – und die Kirche."

Seine Eltern und seine Großeltern liebten ihn sehr und taten alles, um das Selbstbewusstsein des Jungen, der so absonderlich aussah und damit immer Aufsehen erregte, zu stärken. Bis zur Grundschulzeit registrierte er daher nicht wirklich, dass rings um ihn getuschelt wurde, dass man oft verunsichert vor ihm zurückwich, dass er auf schwierige Weise anders war als die anderen.

"Ohne ihn wäre ich nicht so stark geworden"

"Im Gegenteil, ich kam mir eher besonders vor. Ich ging in den Kindergottesdienst und liebte Pastor Hausmann, der so nett zu mir war, mich auch an meinen Geburtstagen besuchte und mir Geschenke machte. Ohne ihn wäre ich in all den Jahren nicht so stark geworden, wie ich es jetzt bin", sagt Philipp Arndt. "Mit ihm gab es jemanden außerhalb meiner Familie, der immer für mich da war, bei dem ich einfach so sein konnte, wie ich ja bin."

Er selbst zu sein, ein eigentlich ganz normaler Junge, der genau so durch den Alltag gehen wollte wie andere Kinder auch, das wurde nämlich schwieriger und schwieriger. Die Schule war eine Kampfzone, in der es für ihn ums Überleben ging. Die ständigen Hänseleien, die gemeinen Sprüche, dass er ein "Spasti", ein "Behindi", ein Idiot sei, es war schlimm bis hin zu Suizid-Gedanken. "Ich saß morgens heulend am Küchentisch und wehrte mich mit Händen und Füßen, um nicht losgehen zu müssen", erzählt Philipp Arndt. Seine Eltern sagten dann, komm, du bist viel cleverer als die, du schaffst das! "Ich hätte aber zerbrechen können."

Philipp Arndt (li) mit Pastor Heiko Buitkamp bei einer der legendären Schlauchbottfahrten

Dass er daran glaubte, clever zu sein und es auch außerhalb der liebevollen Familie "zu schaffen", hatte nicht nur mit durchaus guten Schulnoten zu tun – gar nicht so einfach für jemanden, der sich nur mit Mühe verständlich artikulieren konnte – sondern auch damit, dass er schon früh zusammen mit Pastor Hausmann den Kindergottesdienst organisieren durfte.

Martin Hausmann war aus Hamburg-Altona ins kleine Rinteln gekommen und hatte aus der Großstadt ein Konzept für die Arbeit mit behinderten Menschen mitgebracht. Er gründete Gruppen für behinderte Jugendliche und organisierte eine enge Zusammenarbeit mit der "Lebenshilfe", die damals mitten im Städtchen ihre Räume hatte. Andere Jugendliche aus der Gemeinde wurden in Spiel und Arbeit mit behinderten Kindern einbezogen. So kam es, dass Philipp Arndt trotz seiner starken körperlichen Einschränkungen an der vor Ort berühmten "Weser-Schlauchbootfahrt" teilnehmen konnte, 14 Tage auf großen Armee-Schlauchbooten die Weser hinab, Zelten, Lagerfeuer, Abenteuer.

Die Kirche als "öffentlicher Ort der Friedlichkeit"

Als Martin Hausmann, der bereitwillig auch in höherem Alter diese wilde Reise mitmachte, in Pension ging, und der junge Pastor Heiko Buitkamp das Amt in der Jakobi-Kirche antrat, sah dieser fasziniert, wie die ganze Gemeinde ungewöhnlich sensibilisiert war im Umgang mit behinderten Menschen. Und sofort fiel ihm Philipp Arndt ins Auge, der bei allen Gottesdiensten und Veranstaltungen dabei war. Der sich anbot, Aufgaben zu übernehmen und schließlich sogar als Betreuer, als "Offizier", bei der Schlauchbootfahrt fungierte – eine der Möglichkeiten, dazuzugehören, Leistung zu zeigen. Und eben auch zu beweisen, dass hinter dem ungewöhnlichen Äußeren, das so viele Vorurteile hervorrief, ein kluger, engagierter Mensch steckte.

"Ich glaube, wenn ich in dieser Teenagerzeit nicht so in der Kirche hätte zuhause sein können, wenn es diesen öffentlichen Ort der Friedlichkeit nicht gegeben hätte, ich wäre verzweifelt", sagt Philipp Arndt rückblickend. "Ich bekam echtes Zutrauen in mich, und auch den Mut, den Willen, den Trotz, mich den Anfeindungen in der Schule zu stellen." Er wurde Klassenprimus in der Realschule, machte dann Abitur und eine Ausbildung an der Fachhochschule, durch die er jetzt Finanzbeamter im nahen Stadthagen ist.

Pastor Buitkamp (li) und Pastor Hausmann gemeinsam auf der Weser

"Diese ganze Zeit hat mich sehr geprägt. Sie ist verantwortlich dafür, dass ich nach besten Kräften der Kirche zurückgebe, was sie für mich getan hat", sagt Philipp Arndt. Mit 18 Jahren wählte man ihn – Pastor Heiko Buitkamp hatte ihn zur Kandidatur aufgefordert – als jüngstes Mitglied aller Zeiten in die Gemeindevertretung, wenig später war er Mitglied im Kirchenrat, inzwischen wohl bewandert in allen Gemeindeangelegenheiten, und schließlich Synodaler in der kleinen Bezirkssynode. Außerhalb der Kirche engagiert er sich im Behindertenbeirat Rintelns.

Das alles hatte vielleicht mit der besonderen Taufe des schwerbehinderten Babys begonnen, dessen Eltern tiefes Vertrauen in Pastor Martin Hausmann fassten, weil er sofort verstand, dass die Familie besondere Unterstützung brauchte. Hätte es nicht die kleine Taufe in der Kirche gegeben, die Besuche des Pastors, die Gespräche über die Sorgen mit dem Kind, das ständig operiert werden musste, und dann die Bereitschaft, es selbstverständlich in die Gemeindeveranstaltungen einzubeziehen – wer weiß, ob es Philipp Arndt gelungen wäre, seine Stärken so zu entfalten.

Immer noch, wenn Martin Hausmann, der inzwischen in Bremen lebt, seine ehemalige Gemeinde in Rinteln aufsucht, gehört ein Treffen mit seinem Philipp dazu. Der über 70-jährige lässt es sich außerdem nicht nehmen, immer wenigstens eine Etappe bei der Weser-Schlauchbootfahrt mitzureisen. Und Philipp Arndt, der ist dann sein Offizier.

"Ich will nie mehr, dass du nicht da bist"

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Markus und Sebastian trauen sich

Foto: Patricia Dries

Vom Standesamt auf den Weihnachtsmarkt: Sebastian (links) und Markus.

So vieles spricht dagegen: die Scheidungsrate, bittere Enttäuschungen, der Rosenkrieg bei Freunden, die Lust am Experimentieren. Und dennoch wollen viele junge Menschen ihrem oder ihrer Liebsten vor Gott geben: in der Hoffnung, ihr Glück möge ewig währen, die Zweisamkeit gute und schlechte Zeiten überdauern. Die Journalisten Gesine Wulf und Hannes Leitlein haben zwölf Paare besucht, die den großen Tag noch vor sich oder vor kurzem geheiratet haben. Auch evangelisch.de-Redakteur Markus Bechtold hat sich nach zehn Jahren Beziehung getraut und geheiratet. Lesen Sie hier einen Teil seiner Geschichte.

Markus will nicht mehr ausgehen. Er ist geschafft, hat zu viel gearbeitet und zu viel studiert. Aber dann gibt er sich doch einen Ruck, er muss fotografieren. Markus arbeitet neben dem Publizistik-Studium als freier Journalist für ein schwul-lesbisches Web-Portal in Rhein-Main, das er ins Leben gerufen hat. Dafür macht er Party-Fotos und spricht mit allen, um Werbung für die Webseite zu machen. Sebastian steht der Sinn auch nicht nach Party. Er will absagen, aber sein guter Freund Marc besteht darauf, dass er mitkommt. Sebas­tian hatte ihm versprochen, mit in den Geburtstag hinein zu feiern.

Freitagabend, 13. Dezember 2002, auf der lesbisch-schwulen Uni-Fete "Warm ins Wochenende" in Mainz. Da steht in einer Gruppe auch Sebastian vor Markus’ Kamera. Etwas unentschlossen, unsicher, er lässt sich nicht gern fotografieren. Den Fotografen hat er schon öfter gesehen, sie hatten sich vor Wochen einmal kurz unterhalten. Marc kennt Markus und hatte sie einander vorgestellt. Markus ist damals überall, wo sich die Szene trifft. Sein Lachen ist Sebastian aufgefallen, sympathisch und echt, aus ganzem Herzen. Markus setzt sich zu Sebastian. Sie reden übers Studium, ihre Seminare, über Markus’ Magisterarbeit, gerade ist er begeistert von Magnus Hirschfeld. "Ich glaube, er hätte mir alles erzählen können. Ich fand das faszinierend: Markus ist unglaublich interessiert und findet es ganz wichtig, was ihn gerade beschäftigt", erinnert sich Sebastian. Für Markus steht sofort fest: Er ist es. Das spürt er mit aller Gewissheit und Zuversicht. Er sagt es sogar schon an diesem Abend zu einem Freund.

Warme Schreibtischlampe trifft kalte Neonröhre

Gegen 3 Uhr geht das Licht an. Sie sind unter den letzten Gästen. Marc hatte bemerkt, wie gut sich die beiden verstehen, und Markus spontan zu seiner Geburtstagsparty eingeladen. Sie sind so gegensätzlich. Der eine nachdenklich und vorsichtig, der andere leidenschaftlich und engagiert. Warme Schreibtischlampe trifft kalte Neonröhre. Fast nie allein unterwegs und immer allein unterwegs. Pünktlich und unpünktlich. Aber das finden sie erst noch heraus. Am Abend auf der Geburtstagsparty bei Marc. Zu 20 Uhr sind sie eingeladen und Sebastian ist längst da. Er erzählt allen, dass Markus, dieser spannende Mann, kommen wird. Aber der kommt nicht. Sebastian wartet. Die Freunde versuchen, ihn abzulenken. Marc bittet ihn, den dunklen Treppenaufgang zum Party-Raum mit Teelichtern besser sichtbar zu machen, damit alle den Weg finden. Damit auch Markus den Weg findet, denkt Sebastian. Es ist schon nach 22 Uhr. Ob Markus noch auftaucht, er glaubt es nicht mehr, aber wünscht es sich doch.

Es ist Mitternacht und da ist Markus, holt sich ein Glas Sekt, stellt sich dazu, lächelt und sagt: "Ja, da bin ich." Sebastian wundert sich nur kurz über den nonchalanten Auftritt. Sofort geht ihr Gespräch weiter. Wie in der Nacht zuvor bis zum Schluss. Markus hat den ganzen Tag an Sebastian gedacht, aber er geht nie vor 23 Uhr auf eine Party: "Ich kam gar nicht auf die Idee, dass mich jemand um 20 Uhr erwartet. Ich kam auch nicht auf die Idee, dass das ein Problem sein könnte, wenn man später kommt. Ich war vorher noch schwimmen."...

Dass beide ein Paar sind, sprechen sie noch lange nicht aus. Die ganze Geschichte lesen Sie in: "Warum wir heiraten"

Die Beziehung wirft viele Fragen auf

Drei Monate später nach einem Waldspaziergang, es ist schon dunkel. Sie stehen auf einem Hügel im "Großen Sand", einem Dünengebiet bei Mainz. Da sagen sie endlich, was sie fühlen: »Ich liebe dich.« Für Sebastian ist das eine fundamentale Erkenntnis, sie heißt: "Ich will auch nie mehr, dass du nicht da bist." Das auszusprechen, verlangt Mut von ihm. Er erlebte die ersten Wochen der Partnerschaft vor allem als Fragen: Was kann ich, was will ich, was tut mir gut und ist es das, was ich jetzt tun soll, tun darf? Markus an seiner Seite gibt ihm Ruhe, Sicherheit und Vertrauen. Viele Antworten auf seine Fragen. Für Markus sind die Worte ein Bekenntnis, ein Versprechen auf Zukunft, gemeinsam. Die wünscht er sich mit Sebastian. Da ist er romantisch und Sebastian ist es auch.

In den nächsten Monaten macht Markus seinen Magister. An einem Sonntag sitzen sie in einem kleinen Café in Frankfurt und Markus eröffnet Sebastian, dass er seine Wohnung gekündigt hat, den Job aufgegeben hat und für ein Praktikum bei der "Berliner Zeitung" in die Hauptstadt zieht. Sebastian ist schockiert. Bald wäre der Prüfungsstress überstanden, sie könnten wieder entspannt zusammen sein und nun? Wie radikal und wie rücksichtslos! Sebastian hat das Gefühl, jetzt ist alles vorbei. Er ist mitten im Hauptstudium und kann schlecht nach Berlin wechseln. Doch Markus wollte schon immer, schon vor Sebastian in eine Metropole, in die große Großstadt. Zum Studium hatte es nicht geklappt, deshalb muss er jetzt tun, was er sich vorgenommen hat. Markus spürt die Unsicherheit von Sebastian und bekommt auch Angst, ob sie sich auf der langen Strecke verlieren werden? Aber er spricht es nicht aus, er kann nicht mehr zurück. Der Abend vor der Abreise ist schrecklich. Sie sind bei Sebastian, im Fernsehen läuft der Film "Shrek". Das passt nicht zur ihrer Stimmung. Sebastian hilft beim Umzug und bringt seinen Freund nach Berlin. ...

Warum Sebastian in Berlin Markus stark macht und weshalb Berlin eine Zeit des Stillstands wird und für Markus die Erlösung mit dem Zeitunsvolontariat  in Konstanz am Bodensee kommt, lesen Sie in: "Warum wir heiraten"

Mit der Fernbeziehung kommt das Pendeln

In der Redaktion [am Bodenseee - Anmerkung der Redaktion] vergisst Markus schnell seine Panik. Die Ausbildung ist gründlich, er hat gut zu tun und wird anerkannt. Dass er schwul ist und einen Freund hat, wird genauso aufgenommen wie das Liebesleben aller anderen Kollegen. Sogar auf der Lokal-Reporter-Station im tiefsten Schwarzwald treten sie als Paar auf und treffen auf freundliche Menschen. Sie hatten Angst vor Ablehnung, aber die begegnet ihnen nicht. Markus beginnt, die Provinz zu schätzen. Das Bodenständige, das Menschliche, die Landschaft, die Tradition. Sebastian ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter in Erlangen und arbeitet an seiner Dissertation über sakrale Räume. Per Luftlinie sind es nach Konstanz nur 250 Kilometer, aber mit der Bahn sind sie fünf­einhalb Stunden unterwegs, um zusammenzukommen. Es gibt keine direkte, schnelle Verbindung von Nürnberg an den Bodensee.

Die Fernbeziehung besteht nun aus Power-Wochenenden. ­Power-Wellness, Power-Spaziergängen, Power-Reisen, um die knappe gemeinsame Zeit so intensiv wie möglich auszu­kosten. In diesem Rhythmus lernen sie auch, sich nach einem Streit schnell wieder zu versöhnen. Nur nicht mit einem schlechten Gefühl verabschieden, das ganze Wochenende im Groll verbringen. Wer im Ärger auflegt, ruft noch mal an. Diese Lektion hilft ihnen heute noch beim Zusammenleben.

Markus arbeitet viel, zu viel. An einem späten Feierabend ist er mit dem Fahrrad auf dem Heimweg in Gedanken noch am Schreibtisch, da wird er angefahren. Er ist nicht schuldig, aber vielleicht hätte ihn Aufmerksamkeit geschützt? Zum Glück trägt er einen Helm, nur das Schlüsselbein ist gebrochen. Dieses Erlebnis gibt ihm zu denken: "Im Krankenwagen habe ich mich gefragt: Was war jetzt so wichtig? Und mir ist nichts eingefallen. Ich habe nur an Sebastian gedacht und an meine Familie. Alles, was mich so bewegt hatte, war in dem Moment nicht wichtig. Und was wichtig ist, das lebe ich nicht. Von dem Moment an war mir klar, dass ich was ändern muss in meinem Leben. Dass wir wieder näher zusammenkommen müssen."

Sie wollen ihrer Liebe einen Feiertaggeben

Markus macht das, was er denkt. Er sucht einen neuen Job. Dafür verlässt er nach sechs Jahren seine unbefristete Stelle in Konstanz und nimmt eine befristete in Frankfurt an. Nach der langen Fernbeziehung ziehen Sebastian und Markus zusammen. Mit diesem Schritt wissen sie auch sehr sicher, sie wollen heiraten. Diese Idee war ihnen beiden als Kinder ganz vertraut und selbstverständlich erschienen. Ihre Eltern lebten es vor, beide sind lange glücklich verheiratet. Die Welt in ihrer Kindheit war verheiratet, hatte Kinder. Warum sollte es bei ihnen nicht so sein, wenn sie groß sind? Als sie merkten, dass sie schwul sind, Männer lieben, schien der Gedanke mit dem Coming-out obsolet zu sein. Zwei Männer heiraten? Nicht erlaubt, nicht möglich. Wozu noch darüber nachdenken? Mittlerweile war nicht nur die eingetragene Lebensgemeinschaft etabliert, sondern auch die rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Partnerschaften mit der Ehe erfreulich fortgeschritten. Sie hatten am Bodensee viele junge Hetero-Paare erlebt, die verheiratet waren, Familien gründeten und das hat ihnen imponiert. Diese Selbstverständlichkeit, mit der andere sagen: "Mein Mann" oder "Meine Frau".

Sie wünschen sich beide, dass ihr Zusammenhalt mehr Gewicht bekommen soll, eine neue Tiefe. Sie wollen ihrer Liebe einen Feiertag geben wie andere Paare auch. Einen offiziellen Tag für sich und für ihre Welt. Es fehlt nur der richtige Augenblick, um es auszusprechen. Auf dem Lanzarote-Urlaub im Frühjahr 2011 will Markus ihn finden, aber es ergibt sich nicht. Sebastian trägt den Gedanken auch mit sich herum, nur wie er ihn rauslassen kann, weiß er nicht. Er weiß, dass Markus eine Schwäche für den großen Auftritt, das demonstrative Bekenntnis hat. Nur genau das liegt Sebastian so gar nicht, er mag keinen Rummel um seine Person, aber für Markus würde er eine Ausnahme machen. Sie beide haben in den Jahren ihre verschiedenen Eigenheiten und Bedürfnisse aneinander angepasst. Markus ist jetzt pünktlich und zuverlässig, Sebastian kann mit mehr Licht leben und ist entschiedener in seinen Wünschen.

Markus (links) und Sebastian an der holländischen Nordseeküste vor ihrer Verlobung.

Ein Jahr später, sie verbringen die Neujahrstage in Wijk aan Zee, an der holländischen Nordseeküste. Es ist stürmisch und kalt. Sie machen ausgiebige Spaziergänge. Markus hat sich fest vorgenommen, diesmal zu fragen. Aber wie fragen, was sagen? Er hat nichts vorbereitet, keine Ringe, keine Inszenierung. Sie sind schon einmal lange gelaufen an diesem Tag, zwei Tage vor der Abreise, Anfang 2012. Da überredet Markus Sebastian, noch mal an den Strand zu gehen. Als sie draußen sind, bricht der Himmel auf, die Sonne schickt ihre Strahlen über das Meer, an den Strand. Markus greift Sebastian an die Schulter und fragt ihn: "Willst du mein Mann werden?" Sebastian antwortet prompt, kraftvoll und strahlend: "Ja." Beim Abendessen feiern sie den Entschluss. Die Familien werden gemeinsam nach Frankfurt eingeladen und bei einem Essen erzählen die Söhne mit hoch­roten Köpfen, dass sie heiraten wollen. Das wird mit großer Freude aufgenommen, natürlich sind die Mütter gerührt: Jetzt gibt es doch noch ein Fest. Sie hatten befürchtet, die beiden würden heimlich heiraten. Der Termin ist für Sebastian und Markus klar: Es wird der 13. Dezember 2012, der Tag, an dem sie sich vor zehn Jahren gefunden haben.

Entscheidene Station einer Reise: Das Jawort

Sie machen es, wie es viele Frankfurter machen: Sie heiraten im Römer. Mit der klassischen Aufnahme des Hochzeits-paares vor dem Frankfurter Schrank. Ihre Familien, ein paar Freunde und zwei Trauzeugen sind dabei. Für Markus bedeutet die Hochzeit, ihrem Bund Tiefe zu verleihen, gern auch bis an das Ende der Zeit. Für Sebastian ist es eine entscheidende Station auf einer langen Reise. "Du hast das Gefühl, du bist lange unterwegs, und da war manchmal auch schlechtes Wetter, der Weg war schwierig, du hast dich verlaufen, zu zweit, irgendwann kommst du an einen Punkt und du denkst, das ist gut, jetzt wissen wir, wo wir sind und von hier geht es in eine bestimmte Richtung weiter."

Morgens beginnt für beide der Tage mit einer Tasse Kaffee.

Ihre Ehe könnte auch einen anderen verschütteten Traum wiederbeleben, eine Familie zu gründen. Aber als nächsten Schritt haben sie den festen Plan, mit einem großen Fest und allen Freunden kirchlich zu heiraten. Vor Gott. Ihr Glaube ist ihnen wichtig. Markus hat ihn mit Sebastian wiedergefunden. Als Kind und Jugendlicher wirkte er aktiv in seiner Gemeinde. Als Schwuler fühlte er sich in der Kirche nicht willkommen und lehnte sie ab. Sebastian hat die Kirche immer als Heimat erlebt, auch als Schwuler. Er hat Markus über die Jahre wieder vertraut gemacht und auch versöhnt mit dem Glauben und der Institution, die dazugehört. Deshalb arbeitet Markus heute aus Überzeugung auch in einem kirchlichen Verlag. Es bedeutet ihnen beiden viel, dass ihre Ehe gesegnet wird.

Wenige Wochen nach dem Standesamt stirbt plötzlich Markus’ Vater. Dieser Schmerz überschattet das ganze Jahr, die Trauer lähmt sie. Jetzt planen sie, die Hochzeit 2014 wirklich zu feiern. Sie wissen schon, welcher Pfarrer sie trauen soll. Sie haben eine Idee, wo sie feiern können. Bis dahin wollen sie auch die Ringe gefunden haben, als Erkennungszeichen ihres Bundes. Oder besser, die Ringe sollen sie gefunden haben. Doch was könnte zu ihnen passen? Auf keinen Fall werden sie in ein Hochzeitsgeschäft gehen, wo viele Paare die Eheringe aussuchen. Das ist nicht ihr Weg, ihr Stil. Diese Freiheit von Vorbildern gefällt ihnen, sie können und wollen selbstbestimmt und selbstbewusst ihren gemeinsamen, ihren eigenen Weg gehen.

Christen protestieren gegen Blockupy

"Für mich da": Ein Konfirmand wird Pfarrer

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Christiane Meister mit ihrem Vater

Foto: privat

Autorin Christiane Meister mit ihrem Vater Heinz-Günther Meister

Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Unsere Autorin Christiane Meister erzählt von ihrem Vater, der Pfarrer war, und dessen Konfirmand Frank Nico Jaeger - der auch Pfarrer wurde.

Mein Vater, Heinz-Günther Meister, war aus dem Koma erwacht. Monate zuvor war er nach einem Herzstillstand reanimiert worden. Nun strahlte er freudig, als mein Bruder Andreas das Zimmer betrat. "Was machen Sie denn hier?", fragte er überrascht. Andreas stutzte. Erkannte ihn sein Vater nicht mehr? Spätestens, als der ihn mit "Frank Nico Jaeger" ansprach, war offensichtlich, dass er Andreas mit jemandem verwechselte, von dem wir noch nie gehört hatten. Nach dem Koma hatte mein Vater immer mal wieder Raum und Zeit durcheinandergebracht, seine Familie aber bisher erkannt. Doch nun ließ er sich nicht einmal umstimmen, als Andreas seinen Personalausweis zückte.

Als ich meinem Vater ein paar Tage später von der Verwechslung erzählte, hatte er ein schlechtes Gewissen. Mich interessierte aber viel mehr, wer dieser Frank Nico Jaeger war. "Einer meiner ersten Konfirmanden in Gronau", war die prompte Antwort. "Der hätte auch gut Theologie studieren können", fügte mein Vater hinzu. Eine Internetrecherche verriet: Frank Nico Jaeger ist wirklich Pfarrer geworden. Über das soziale Netzwerk Xing schrieb ich ihm eine kurze Nachricht. Schnell folgte die Antwort:

"Das ist ja eine Überraschung! Ich freue mich von dir zu hören und erst Recht von Pfarrer Meister! Er hatte ja einen erheblichen Anteil daran, dass ich meinen Beruf ergriffen habe."

"Er wollte wissen, was wir denken. Das gefiel mir"

Ich besuche Frank Nico Jaeger. Er hat eine Pfarrstelle in Bad Hersfeld, seine zwei Kinder sind ungefähr in dem Alter, in dem meine Schwester und ich waren, als er zu unserem Vater in den Konfirmandenunterricht ging. An diese Zeit habe ich kaum Erinnerungen. Da sich meine Eltern wenige Jahre später trennten, habe ich meinen Vater nur selten als Pfarrer erlebt. Ich erinnere mich, dass mir als Kind sein Wissen unendlich vorkam und er Menschen mit seinen Erzählungen fesseln konnte. Nun war ich gespannt zu hören, wie Frank Nico Jaeger ihn erlebt hat.

Pfarrer Frank Nico Jaeger
"Ich wusste, dass es zur Konfirmation anständig Geld gibt und spekulierte darauf, mir ein Fahrrad zu kaufen", erinnert sich Pfarrer Jaeger. Er erzählt, dass sein Elternhaus nicht sonderlich religiös gewesen sei: Die Familie besuchte an Weihnachten und Ostern die Gottesdienste. Mehr Berührungspunkte mit der Kirche hatte Jaeger bis zum Beginn seines Konfirmandenunterrichts nicht.

Als der Unterricht begann, hatte es der Heranwachsende nicht leicht. "Wenn du 13 Jahre alt bist, dann ist ständig alles in Bewegung. In der Schule hatte man mich als 'bedingt hauptschulgeeignet' eingestuft. Ich bin dann trotzdem zur Realschule gegangen. Dort war ich ein Störer, weil ich mich gelangweilt habe. Deshalb wechselte ich zum Gymnasium, wo ich erstmal kläglich gescheitert bin." Anders erlebte Jaeger zu seiner Überraschung den Konfirmandenunterricht. "Es gab damals keine Erlebnispädagogik, wie wir das heute oft machen. Wir saßen an Tischen oder im Stuhlkreis und haben diskutiert. Dein Vater wollte wissen, was wir denken. Das gefiel mir."

Politik statt Ablativus

Um die schulische Situation zu verbessern, kamen Frank Nico Jaegers Eltern auf die Idee, dass der Pfarrer ihm Nachhilfe in Latein geben könnte. So kam es, dass Jaeger nach dem Konfirmandenunterricht blieb. "Ich mochte deinen Vater. Intellektuell war er eine Herausforderung. Das kannte ich so von zu Hause überhaupt nicht. Er hat viel gelesen und ich hatte das Gefühl, dass es nichts gab, was er nicht wusste. Er entsprach überhaupt nicht meiner damaligen Vorstellung eines Pfarrers. Gleichzeitig schien er so fest im Glauben – unerschütterlich. Daran konnte man sich ausrichten." Ihn habe es deshalb nicht gestört, die Nachhilfe ausgerechnet vom Pfarrer zu erhalten.

Jaegers Erzählungen von den Lateinstunden kommen mir bekannt vor – lustloses Konjugieren und Deklinieren trafen auf das völlige Unverständnis meines Vaters, wie man der Sprache mit so wenig Fleiß und Leidenschaft begegnen konnte. "Er war unglaublich streng und hat nichts durchgehen lassen. Er konnte richtig böse werden, wenn ich nicht gelernt hatte." Frank Nico Jaeger muss lachen, als er sich erinnert: "Irgendwann hat er dann wohl gemerkt: Dem ist nicht zu helfen." Statt den Ablativus absolutus zu erörtern, unterhielten sich Pfarrer und Konfirmand zunehmend über andere Themen.

"Ich glaube, dein Vater wusste das schon vor mir"

"Ich war schon früh politisiert und bin mit einem roten Stern rumgelaufen", erinnert sich Jaeger. "Für meine Eltern passte das nicht ins bürgerliche Bild. Aber dein Vater hat mich irgendwie verstanden. Er war selbst davon überzeugt, dass wir von dem, was wir haben, abgeben müssen – ob das nun Bildung ist oder Geld." Oft diskutierten die beiden über aktuelle Themen. Jaeger erinnert sich an die Debatte zu Grundgesetz-Artikel 16, die in den 80er Jahren begann und 1992 vorläufig im Asylkompromiss endete.

Familie Meister vor der Kirche in Bad Berleburg (Christiane Meister vorn)
"Dein Vater argumentierte mit der Bergpredigt. Er nahm die Bibel als Hilfe, lebenspraktisch zu predigen. Tatsächlich gibt es ja nichts Radikaleres als das Wort Jesu, die Botschaft dahinter bricht eine Gesellschaft auf", davon ist Frank Nico Jaeger heute überzeugt. "Wir haben uns auch über Theologen wie Bonhoeffer unterhalten. 'Die Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist.' Das ist für mich ein wichtiger Satz geblieben." Beim Erzählen spüre ich, wie nachhaltig Frank Nico Jaeger beeindruckt ist. Er ist der Kirche, dem Glauben auf eine Weise begegnet, die er so nicht erwartet hatte.

Nach der Konfirmation trennten sich die Wege der beiden. Mein Vater nahm eine Stelle in Bad Berleburg an – in Wittgenstein, seiner Heimat. Jaeger engagierte sich im Kindergottesdienst. Mit 14 stand für ihn bereits fest, dass er Theologie studieren wollte. "Ich glaube, dein Vater wusste das schon vor mir", sagt er heute.

Etwa zu der Zeit, zu der Jaeger mit dem Studium begann, musste mein Vater wegen gesundheitlicher Probleme seinen Beruf aufgeben. Nach einem Klinikaufenthalt zog er nach Bielefeld, wo er viel Zeit in der Bibliothek der Kirchlichen Hochschule verbrachte und ehrenamtlich in Bethel arbeitete.

Bibel und Zeitung gehören zusammen

Als Jaeger dort ein Praktikum machte, trafen sich die zwei zufällig wieder. "Plötzlich stand er vor mir und sprach mich an. Ich habe ihn erst gar nicht erkannt. Ihm fehlten Zähne und er wirkte gebrochen", erzählt Jaeger. "'Was macht der Beruf mit uns', habe ich mich gefragt. Ich glaube, er hatte eine andere Vision vom Leben und vom Christsein. Viele gehen in die Kirche, weil es chic ist, das Evangelium ist bei vielen weit entfernt. Das hat ihm sehr zu schaffen gemacht." Nach diesem Treffen sei er fix und fertig gewesen, erinnert sich Jaeger. Seitdem haben sie sich nicht wiedergesehen.

Ich kann mich gut an diese Zeiten erinnern, als unser Vater an der Welt und seinem Leben zu verzweifeln schien. Dagegen scheint er heute, obwohl er durch die Folgen des Herzstillstandes gezeichnet ist, wie ausgetauscht. Auch wenn er pflegebedürftig ist, hat er seinen alten Charme und Esprit, seinen Witz und auch seine Lebensfreude wiedergefunden.

Eigenschaften, die Frank Nico Jaeger schon vor mehr als zwanzig Jahren inspiriert haben. Seinen Glauben und seine politischen Überzeugungen trägt Jaeger in die Welt. In sozialen Medien wie Twitter und Facebook setzt er sich für Flüchtlingshilfe oder die Öffnung der evangelischen Kirche für Homosexuelle ein. "Dein Vater konnte stundenlang über Karl Barth sprechen, das politische Christentum. Wenn jemand den Weg für solche Debatten bereitet hat, war er das." Dass Bibel und Zeitung zusammengehören, war für den 13-jährigen Jaeger eine entscheidende Erkenntnis. Und so konnte aus dem Jungen, den anfangs vor allem die Aussicht auf Geldgeschenke in den Konfirmandenunterricht lockte, ein Pfarrer werden.


"Betreten wärmstens empfohlen!"

Evangelisch-Muslimischer Gottesdienst in Köln

Kardinal Reinhard Marx zum Flugzeugabsturz von #4U9525

Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm zum Absturz von #4U9525

Notfallseelsorge: Erste Hilfe für die Seele

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Wer hilft, wenn die Seele in Not ist?

Von Todes- und Unglücksfällen sind nicht nur die Opfer betroffen, sondern auch Angehörige und Augenzeugen, die mit der seelischen Belastung nach der Krisensituation nicht alleine fertig werden. Wer hilft, wenn die Seele in Not ist?

Seelsorge in Notfällen ist so alt wie die Kirche selbst. Die Sorge um Menschen in Not und "Werke der Barmherzigkeit" galten schon immer als zentrale Aufgabe für Menschen, die sich ihrem Glauben verpflichtet fühlen. Die regelmäßige Zusammenarbeit zwischen Notfallseelsorgern und Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz ist dabei erst wenige Jahrzehnte alt. Die ersten Schritte zur heutigen Form der Notfallseelsorge wurden 1962 infolge der Flutkatastrophe in Hamburg eingeleitet. In den 1980er Jahren entstanden dann verschiedene kirchliche Initiativen zur Gründung von Notfallseelsorgesystemen, um überkonfessionell und unmittelbar Menschen in seelischer Not Hilfe zu leisten.

"Ein Startpunkt war 1988 das Flugzeugunglück auf der US-Militär Basis in Ramstein", erzählt Pfarrer Justus Fiedler, seit 2005 Beauftragter für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche in Berlin. Damals baten Polizei und Feuerwehr kirchliche Einrichtungen um die seelische Betreuung von Angehörigen der Opfer und Zeugen des Unglücks - der Auftakt für die ‚Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdiensten' (AGS). "Die Kirche institutionalisierte damals ihren Grundauftrag von Seelsorge und Verkündung, der schon im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter beschrieben ist."

Unter den Freiwilligen sind Ärzte, Psychologen, Lehrer, Therapeuten

In der Folge entstand ein buntes System von kirchlichen und säkularen Hilfsorganisationen, die sich erst 1997 in den so genannten "Kasseler Thesen" ein gemeinsames Programm gaben: Im Mittelpunkt stand die Notfallseelsorge als "erste Hilfe für die Seele." Seit 1998 treffen sich die Seelsorger auch auf auf dem Bundeskongress der Evangelischen Kirche, um sich auszutauschen und fortzubilden. Dieses Jahr geht es in Erfut um die Begleitung von Kindern.

So wie Hilfsorganisationen anderer Landeskirchen bietet die Notfallhilfe von Pfarrer Fiedler in Berlin von der menschlichen Begleitung von verletzten oder unverletzten Beteiligten, über die Fürsorge für Angehörige und erschöpfte Einsatzkräfte, bis zur Überbringung der Todesnachricht gemeinsam mit der Polizei oder die Spende der Sakramente und Gebete für Sterbende und Tote.

Neben 60 Seelsorgern anderer Hilfsorganisationen arbeiten heute allein für die kirchliche Notfallseelsorge in Berlin rund 70 ehrenamtliche Mitarbeiter. Getragen wird sie von beiden Kirchen sowie von der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Malteser Hilfsdienst, dem Deutschen Roten Kreuz, der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft und der interkulturellen Notfallseelsorge Berlin. Unter den Freiwilligen sind Ärzte, Psychologen, Lehrer, Therapeuten oder Menschen, die früher selbst Opfer einer Notsituation gewesen sind. Voraussetzung zum Einsatz als Notfallseelsorger ist ein offizielles Zertifikat als Krisenhelfer: mit einer dreimonatigen theoretischen Ausbildung bei einem der Hilfsdienste, sowie Praktika und diversen Weiterbildungen und Übungen dauert es rund ein Jahr, bevor man zum ersten Mal als Krisenhelfer eingesetzt wird.

"Häufig geht es bei unseren Einsätzen um die so genannte erfolglose Reanimation"

"Relativ häufig geht es bei unseren Einsätzen um die so genannte erfolglose Reanimation", erzählt Pfarrer Justus Fiedler, der die Krisenhilfe für die Evangelische Kirche in Berlin koordiniert. "Wenn ältere Menschen plötzlich versterben und die Wiederbelebungsversuche der Rettungskräfte erfolglos bleiben, werden wir von den Angehörigen oder den Einsatzleitern angefordert. Gerade in der Großstadt gibt es immer mehr einsame Menschen, die niemanden haben, der ihnen über den Verlust des Partners hinweghilft." Fiedler steht in direktem Kontakt mit der Leitstelle von Polizei und Feuerwehr und kann je nach Stadtgebiet einen freiwilligen Krisenhelfer in Bereitschaftsdienst an den Einsatzort schicken.

Während in der Bundesrepublik jeder Bedürftige einen Anspruch auf medizinische Versorgung hat, gilt dies für die seelische Betreuung nicht. Diese Lücke füllt die Notfallseelsorge mit mehreren Tausend Mitarbeitern bundesweit, was 2007 auch im so genannten "Konsensbeschluss" zwischen dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und den Hilfsorganisationen offiziell festgeschrieben wurde.

Seit der Gründung der Berliner Notfallseelsorge im Jahr 1994 ist die Anzahl der Einsätze von 67 auf 327 im Jahr 2011 gestiegen. "Das liegt einerseits an unserer erfolgreichen Arbeit und unserem steigenden Bekanntheitsgrad", berichtet Justus Fiedler nicht ohne Stolz. Andererseits gebe es immer mehr Menschen, die keinerlei seelisches Auffangnetz wie die Familie oder feste soziale Rückhaltsysteme hätten. "In Krisensituationen brauchen sie andere Menschen, die ihnen zuhören, sie trösten oder auch ganz praktische Tipps geben, wie nach einer schweren Krankheit oder dem Tod eines Angehörigen das eigene Leben weitergehen kann."

Fiedlers Team ist nicht nur bei individuellen Schicksalsschlägen im Einsatz, sondern kümmert sich ebenso um Angehörige, auf Behandlung wartende Verletzte und erschöpfte Einsatzkräfte bei Großunfällen, wie unlängst bei dem schweren Busunglück auf der Berliner Stadtautobahn, bei dem zwölf Mitglieder einer polnischen Reisgruppe ums Leben kamen. Immer öfter fragen Einsatzkräfte zudem nach der Unterstützung durch einen Seelsorger bei der Überbringung von Todesnachrichten an die Angehörigen. Auch bei Evakuierungen, zum Beispiel nach einem Bombenfund, bei einer Brandkatastrophe oder in Gasnotfällen sind die Seelsorger zur Stelle, um die Betroffenen zu beruhigen und den Ausbruch einer Massenpanik zu vermeiden.

Die Notfallseelsorge ist kein therapeutischen Dienst

Das individuelle Gespräch mit einem Notfallseelsorger ist in der Regel auf einen Zeitraum von etwa zwei Stunden beschränkt, um eine zu enge menschliche Bindung zwischen Betroffenem und Seelsorger zu vermeiden: Bei der Notfallseelsorge geht es stets um die erste Hilfe für die Seele. Für eine weitere Betreuung vermitteln die Helfer dann an hauptberufliche Berater, Psychologen oder Therapeuten. Dennoch fühlt sich die Kirche auch in der Langzeitbegleitung dem Gedenken verpflichtet. Neben einem jährlichen Gedenkgottesdienst für die Opfer von Katastrophen hält Pfarrer Fiedler in seiner Gemeinde auch Messen an den Jahrestagen großer Unglücksfälle.

Als therapeutischen Dienst sieht Justus Fiedler die Notfallseelsorge dabei nicht. "Wir lehnen eine Pathologisierung des Leidens ab, denn jeder Mensch erlebt ein Unglück und dessen Verarbeitung auf individuelle Weise", sagt er. "Wir glauben an die Selbstheilungskräfte der Seele und trauen den Opfern auch eine gewisse Stärke zu. Wir helfen ihnen dabei, Abschied zu nehmen und zu erkennen, dass auch Schmerz ein Teil des Lebens sein kann."

Halleluja und Hasenfest: Wie Ostern wurde, was es ist

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Zweige mit bunten Eiern

Foto: secretgarden/photocase

Farbige Eier sind erstmals im alten Ägypten bezeugt.

Frühlingsanfang? Germanisches Fruchtbarkeitsfest? Sonnenfeier? Wer heutzutage nach der Bedeutung von Ostern fragt, erhält viele Antworten. Mindestens jeder fünfte Deutsche weiß nicht, dass es die Auferstehung Jesu von den Toten ist, die ihm ein verlängertes Wochenende beschert und den Kindern schulfrei. So wie der Glaube im Zeitalter fortschreitender Säkularisierung verdunstet, versickert das Wissen um die kirchlichen Feiertage. Das freut die alten und neuen Atheisten – zur Werbung in eigener Sache greifen sie allerdings gern auf die christlichen Symbole zurück.

Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments wurde Jesus am Karfreitag von den Römern als Aufrührer gekreuzigt, am dritten Tag stand er von den Toten auf. Die ersten Christen begingen die Erinnerung an Jesu letztes Abendmahl und Sterben als Pessachfest, bei dem die Juden des Auszugs aus Ägypten gedachten. Pessach ist die "Nacht des Vorübergehens": In einem Strafgericht tötete Gott alle Erstgeborenen im Land der Pharaonen – an den Häusern der Israeliten ging er vorbei. Sie hatten die Türen mit dem Blut eines Lammes gekennzeichnet, das sie in jener Nacht schlachten und feierlich essen sollten.

Jesus verstand sich als das neue Pessachlamm Gottes, das die Sünden der Menschen auf sich nahm und geopfert wurde. In den meisten Sprachen ist deshalb das Wort "Ostern" das gleiche wie das für das Pessachfest: "Paques" heißt es etwa französisch, "Pasqua" im Italienischen oder "Pasen" in Holland. Die Slawen sprechen von der "großen Nacht". Im Deutschen und Britischen wird dagegen der altgermanische Begriff "Ostern/Easter" verwendet. Dieser geht nicht, wie man lange glaubte, auf die vermeintliche germanische Frühlingsgöttin Ostara zurück, sondern auf die Himmelsrichtung Osten.

Der Sieg über den Winter

Damit wird aus einer heidnischen Namensgebung wieder eine christliche. Denn der Osten, Ort der aufgehenden Sonne, ist Symbol für den auferstandenen Christus. Nach dem Markusevangelium entdeckten die Frauen das leere Grab Jesu "früh am Morgen, als eben die Sonne aufging". Das Wort Osten leitete sich von Eos ab, der griechischen Göttin der Morgenröte, aus der im Lateinischen Aurora wurde. Der germanische Ostara-Irrtum entstand übrigens ebenfalls in der Kirche, er geht auf den angelsächischen Benediktinermönch Beda Venerabilis zurück, der im 8. Jahrhundert wirkte.

Die Sonne galt nicht nur den alten Hochkulturen als Spenderin von Licht und Leben, sondern auch den Germanen. Einige ihrer Frühlingsbräuche flossen in die christliche Festkultur ein, darunter das traditionelle Osterfeuer oder das Osterrad. Mit dem Feuer, für das in den altrömischen Tempeln die Vestalinnen zuständig waren, feierten die Menschen seit jeher den Sieg über den Winter. Die Christen deuteten das Erwachen der Natur im Frühling auf die Auferstehung Jesu um, der als Licht der Welt die Finsternis erhellt. In der Osterkerze führten sie zudem griechische und römische Traditionen weiter.

In der Osterliturgie spielt nicht nur das Feuer, sondern auch das Wasser eine wichtige Rolle. Nach dem alten Volksbrauch muss das Osterwasser in der Nacht vom Karsamstag auf den Ostersonntag zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang aus einem Bach geschöpft und schweigend nach Hause getragen werden. Es soll ein ganzes Jahr lang Augenleiden, Ausschlag und andere Krankheiten heilen, für ewige Jugend und Schönheit sorgen. Mit dem geweihten Wasser der Osternacht werden in der katholischen Kirche auch die Kinder getauft. Die Taufkerze entzündet der Priester an der Osterkerze.

Der Hase schläft mit offenen Augen

Die angebliche Ostara der Germanen wurde früher auch mit dem Osterei und dem Osterhasen in Verbindung gebracht. Doch auch diese vermeintlich rein kulturellen Symbole, die im deutschen Sprachraum vermehrt seit dem 17. Jahrhundert auftauchen, haben eher christliche Wurzeln. Das Ei ist von alters her Sinnbild von Leben und Auferstehung. Bereits die frühen Christen gaben ihren Toten ein Ei mit ins Grab. Farbige Eier sind erstmals im alten Ägypten bezeugt – die Christen in Europa nahmen den Brauch später auf und bemalten sie erstmals im 13. Jahrhundert.

Und der Hase? Er wird bereits vom Kirchenvater Ambrosius, im Jahr 339 in Trier geboren, als Auferstehungssymbol erwähnt. In der byzantinischen Tiersymbolik verkörperte der Hase Christus, der im Tod das Leben gebracht habe: Da er zwar lange Ohren, aber keine Augenlider hat, schläft er mit "offenen Augen". Nach einer anderen Tradition steht der Hase für den schwachen Menschen, der Zuflucht im Felsen Christus sucht. Erstmals erwähnt wurde der Osterhase Ende des 17. Jahrhunderts in einem Werk von Georg Franck von Frankenau – der Heidelberger Arzt warnt darin vor übermäßigem Eierkonsum.

Entstanden ist der Brauch, den Osterhasen die Eier bringen zu lassen, wohl im Elsass, in der Pfalz und am Oberrhein. Doch die Konkurrenz war anfangs groß: In anderen Regionen blieben Fuchs, Storch, Hahn oder gar der Kuckuck noch lange für die Lieferung der runden Ostergaben zuständig. Inzwischen hat sich Meister Langohr weltweit durchgesetzt, selbst die Atheisten inszenieren mittlerweile das sogenannte "Hasenfest" mit Aktionen zum Kirchenaustritt. Sie übersehen dabei, dass Christen nicht an den Osterhasen glauben, sondern an den auferstandenen Jesus.

AHA - Das gehört alles zu Ostern!

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Eier, Feuer, Gottesdienste und was noch dazugehört
Warum ist Ostern der höchste christliche Feiertag? Sind Passionszeit und Adventszeit vergleichbar? Heißt es Karsamstag oder Ostersamstag? Welche Symbolik gehört zu Ostern?

Was Sie eigentlich schon immer über Kirche, Glaube oder Religion wissen wollten, aber sich bislang vielleicht nicht zu fragen wagten...

Claudius Grigat und Pfarrer Frank Muchlinsky sprechen über höchst Heiliges, kurios Kirchliches und scheinbar Selbstverständliches.

 


"Für mich da": Selbstbewusstsein aus dem Schlauchboot

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Serie Für mich da, Cornelia Kurth, Mein Pfarrer, Philipp Arndt

Foto: Cornelia Kurth

Pfarrer Heiko Buitkamp und Philipp Arndt

Wegbereiter, Lebensbegleiter, Impulsgeber oder wichtige Stütze in schwerer Zeit: Für viele Menschen sind Pfarrerinnen und Pfarrer mehr als einfach nur Prediger. In unserer Pfarrerserie "Für mich da" erzählen wir von besonderen, prägenden oder einfach guten Beziehungen zwischen "Hirten" und ihren "Schäfchen". Philipp Arndt schaffte es, trotz seiner Behinderung Selbstvertrauen zu fassen und seine Stärken zu entdecken – dank zweier Pastoren in Rinteln.

Als Philipp Arndt (24) getauft wurde, geschah das nicht sonntags in einem offiziellen Taufgottesdienst, sondern an einem stillen Samstagnachmittag in der evangelisch-reformierten Jakobi-Kirche in Rinteln an der Weser. Das Baby hatte da schon seine erste Operation überstanden und viele weitere sollten noch folgen. Die Eltern wussten, dass ihr Kind es nicht leicht haben würde im Leben. Durch einen seltenen Gendefekt, das Apert-Syndrom, war Philipp Arndt mit verkrüppelten Händen und Füßen zur Welt gekommen, mit einer offenen Gaumenspalte und zusammengewachsenen Schädelknochen, die bewirkten, dass sich Kopf, Augen und Mund des kleinen Jungen extrem verformt hatten. Seine Familie war einfach nur froh, dass der Pastor, Martin Hausmann, ihnen einfühlsam anbot, in dieser beängstigenden Situation die Taufe in kleinem Kreis zu feiern.

"Die anderen und wie sie mich sehen, ja, das war immer schwer und ist es auch heute oft noch", sagt Philipp Arndt. "Ich weiß, dass viele mich nicht nur für körperlich, sondern auch für geistig behindert halten. Lange Zeit gab es für mich nur zwei Orte, wo ich das Gefühl hatte, nichts beweisen zu müssen: meine Familie – und die Kirche."

Seine Eltern und seine Großeltern liebten ihn sehr und taten alles, um das Selbstbewusstsein des Jungen, der so absonderlich aussah und damit immer Aufsehen erregte, zu stärken. Bis zur Grundschulzeit registrierte er daher nicht wirklich, dass rings um ihn getuschelt wurde, dass man oft verunsichert vor ihm zurückwich, dass er auf schwierige Weise anders war als die anderen.

"Ohne ihn wäre ich nicht so stark geworden"

"Im Gegenteil, ich kam mir eher besonders vor. Ich ging in den Kindergottesdienst und liebte Pastor Hausmann, der so nett zu mir war, mich auch an meinen Geburtstagen besuchte und mir Geschenke machte. Ohne ihn wäre ich in all den Jahren nicht so stark geworden, wie ich es jetzt bin", sagt Philipp Arndt. "Mit ihm gab es jemanden außerhalb meiner Familie, der immer für mich da war, bei dem ich einfach so sein konnte, wie ich ja bin."

Er selbst zu sein, ein eigentlich ganz normaler Junge, der genau so durch den Alltag gehen wollte wie andere Kinder auch, das wurde nämlich schwieriger und schwieriger. Die Schule war eine Kampfzone, in der es für ihn ums Überleben ging. Die ständigen Hänseleien, die gemeinen Sprüche, dass er ein "Spasti", ein "Behindi", ein Idiot sei, es war schlimm bis hin zu Suizid-Gedanken. "Ich saß morgens heulend am Küchentisch und wehrte mich mit Händen und Füßen, um nicht losgehen zu müssen", erzählt Philipp Arndt. Seine Eltern sagten dann, komm, du bist viel cleverer als die, du schaffst das! "Ich hätte aber zerbrechen können."

Philipp Arndt (li) mit Pastor Heiko Buitkamp bei einer der legendären Schlauchbottfahrten

Dass er daran glaubte, clever zu sein und es auch außerhalb der liebevollen Familie "zu schaffen", hatte nicht nur mit durchaus guten Schulnoten zu tun – gar nicht so einfach für jemanden, der sich nur mit Mühe verständlich artikulieren konnte – sondern auch damit, dass er schon früh zusammen mit Pastor Hausmann den Kindergottesdienst organisieren durfte.

Martin Hausmann war aus Hamburg-Altona ins kleine Rinteln gekommen und hatte aus der Großstadt ein Konzept für die Arbeit mit behinderten Menschen mitgebracht. Er gründete Gruppen für behinderte Jugendliche und organisierte eine enge Zusammenarbeit mit der "Lebenshilfe", die damals mitten im Städtchen ihre Räume hatte. Andere Jugendliche aus der Gemeinde wurden in Spiel und Arbeit mit behinderten Kindern einbezogen. So kam es, dass Philipp Arndt trotz seiner starken körperlichen Einschränkungen an der vor Ort berühmten "Weser-Schlauchbootfahrt" teilnehmen konnte, 14 Tage auf großen Armee-Schlauchbooten die Weser hinab, Zelten, Lagerfeuer, Abenteuer.

Die Kirche als "öffentlicher Ort der Friedlichkeit"

Als Martin Hausmann, der bereitwillig auch in höherem Alter diese wilde Reise mitmachte, in Pension ging, und der junge Pastor Heiko Buitkamp das Amt in der Jakobi-Kirche antrat, sah dieser fasziniert, wie die ganze Gemeinde ungewöhnlich sensibilisiert war im Umgang mit behinderten Menschen. Und sofort fiel ihm Philipp Arndt ins Auge, der bei allen Gottesdiensten und Veranstaltungen dabei war. Der sich anbot, Aufgaben zu übernehmen und schließlich sogar als Betreuer, als "Offizier", bei der Schlauchbootfahrt fungierte – eine der Möglichkeiten, dazuzugehören, Leistung zu zeigen. Und eben auch zu beweisen, dass hinter dem ungewöhnlichen Äußeren, das so viele Vorurteile hervorrief, ein kluger, engagierter Mensch steckte.

"Ich glaube, wenn ich in dieser Teenagerzeit nicht so in der Kirche hätte zuhause sein können, wenn es diesen öffentlichen Ort der Friedlichkeit nicht gegeben hätte, ich wäre verzweifelt", sagt Philipp Arndt rückblickend. "Ich bekam echtes Zutrauen in mich, und auch den Mut, den Willen, den Trotz, mich den Anfeindungen in der Schule zu stellen." Er wurde Klassenprimus in der Realschule, machte dann Abitur und eine Ausbildung an der Fachhochschule, durch die er jetzt Finanzbeamter im nahen Stadthagen ist.

Pastor Buitkamp (li) und Pastor Hausmann gemeinsam auf der Weser

"Diese ganze Zeit hat mich sehr geprägt. Sie ist verantwortlich dafür, dass ich nach besten Kräften der Kirche zurückgebe, was sie für mich getan hat", sagt Philipp Arndt. Mit 18 Jahren wählte man ihn – Pastor Heiko Buitkamp hatte ihn zur Kandidatur aufgefordert – als jüngstes Mitglied aller Zeiten in die Gemeindevertretung, wenig später war er Mitglied im Kirchenrat, inzwischen wohl bewandert in allen Gemeindeangelegenheiten, und schließlich Synodaler in der kleinen Bezirkssynode. Außerhalb der Kirche engagiert er sich im Behindertenbeirat Rintelns.

Das alles hatte vielleicht mit der besonderen Taufe des schwerbehinderten Babys begonnen, dessen Eltern tiefes Vertrauen in Pastor Martin Hausmann fassten, weil er sofort verstand, dass die Familie besondere Unterstützung brauchte. Hätte es nicht die kleine Taufe in der Kirche gegeben, die Besuche des Pastors, die Gespräche über die Sorgen mit dem Kind, das ständig operiert werden musste, und dann die Bereitschaft, es selbstverständlich in die Gemeindeveranstaltungen einzubeziehen – wer weiß, ob es Philipp Arndt gelungen wäre, seine Stärken so zu entfalten.

Immer noch, wenn Martin Hausmann, der inzwischen in Bremen lebt, seine ehemalige Gemeinde in Rinteln aufsucht, gehört ein Treffen mit seinem Philipp dazu. Der über 70-jährige lässt es sich außerdem nicht nehmen, immer wenigstens eine Etappe bei der Weser-Schlauchbootfahrt mitzureisen. Und Philipp Arndt, der ist dann sein Offizier.

Warum!? - Gedanken zur Woche im Deutschlandfunk

Ralf Peter Reimann über Kirche und Digitalisierung

"So viel kann der Osterhase gar nicht tragen!"

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So viel kann der Osterhase gar nicht tragen

Foto: Thinkstock/iStock/pomvit

Ein Berg voller Ostereier - viele Kinder wünschen sich zu Ostern jedoch ganz andere Geschenke.

Jonathan hat im letzten Jahr ein mit Eiern und Süßigkeiten gefülltes Osternest gefunden - und zudem gab es noch einen neuen Sandkasten samt Aufsitz-Bagger. Seither ist für den fast Fünfjährigen klar: Ostern gibt’s Geschenke – genau wie zu Weihnachten und zum Geburtstag. Experten sagen jedoch ein Ende der "Immer-Mehr-Konsum-Mentalität" voraus. Kinder sollten darauf vorbereitet werden.

Jonathan hat sich sogar schon eine Wunschliste für den Osterhasen ausgedacht: "Die Benjamin Blümchen-Osterkassette, den Lego-Osterhasen, der so tolle Grimassen schneiden kann, einen Straßenhockeyschläger, und bitte, bitte auch eine Taschenlampe." Mutter Annika versucht die Wunschflut einzudämmen. "Du darfst dir ein Geschenk zu Ostern wünschen. So viel kann der Osterhase doch gar nicht tragen."

Aber Wünsche zurückstellen, das ist gar nicht so einfach. Schließlich wächst Jonathan wie in einer Art "Wunderland" auf, in der alles zu jeder Zeit zu bekommen ist. Selbst in Familien mit durchschnittlichem Einkommen sorgen Großeltern, Paten und Eltern oft dafür, dass Spielzeug und Kleidung die Schränke im Kinderzimmer zum Bersten bringen. Kindern und auch ihren Eltern mag die Vorstellung schwer fallen, dass das womöglich nicht immer so weiter geht.

Dabei ist für Fachleute inzwischen unbestritten, dass wir und die Generation unserer Kinder und Enkel uns vom "Immer-mehr" verabschieden müssen. Der Soziologe Meinhard Miegel, seit 2011 Mitglied der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages, prognostiziert: "In den wohlhabenden Industrieländern wird der materielle Wohlstand sinken und Umstellungen in unserem Verhalten und in unseren Einstellungen erzwingen."

Das bringt eine Herausforderung für Lebensstil und Erziehung mit sich. Denn die Mehrzahl derer, die nach dem Krieg geboren wurden, ist damit aufgewachsen, dass Wohlstand, Konsum, Technisierung und Mobilität stetig zunehmen. Angesichts von entfesselten Finanzmärkten, fortschreitender Naturzerstörung, Klimawandel und der absehbaren Knappheit an Ressourcen wie Erdöl, wächst die Erkenntnis: Ein Weiter wie bisher kann es nicht geben. Eine "Wohlstandsdämmerung" zieht herauf – verbunden mit der Einsicht, dass der Planet Erde den Raubbau an Rohstoffen und an Wasser, Erde und Luft nicht unbeschadet übersteht.

Kinder jetzt schon stark machen

"Wir leben habgierig und ungerecht gegenüber den Armen und auch gegenüber künftigen Generationen", ist die Sozialpädagogin Freya Pausewang überzeugt. "In einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum nicht möglich. Wir haben nicht zwei oder noch mehr Erdbälle, um weiter so leben zu können. Darauf müssen wir uns einstellen – und unsere Kinder stark für die Zukunft machen." Sie sieht die Herausforderung und die Möglichkeit, Kinder von klein auf für eine Zukunft stark zu machen, in der es andere Quellen für das Wohlgefühl als den Konsum oder die schnelle Erfüllung materieller Wünsche gibt: Entdeckung der eigenen kreativen Fähigkeiten, Bildung und Glaube. "Das Leben ist auch dann freudig, wenn ich mir nicht alle materiellen Wünsche erfülle. Mehr Zeit und weniger Hektik, Gemeinsamkeit, mehr Einklang mit der Natur und soziale Kontakte, auch das macht doch reich! Es gibt so viel zum Freuen – und diese Freude kann man mit Kindern doch leben", findet sie.

Dabei bedeutet ein anderer Lebensstil nicht in erster Linie Verzicht, sondern, so beschreibt es Harald Weltzer, einer der Vordenker für einen Paradigmenwechsel, "im besten Fall auch ein Mehr an Zeit, Ruhe und Kontakt zu Menschen und zur Natur". Gefragt ist deshalb eine Erziehung, die Kinder zur Mitgestaltung, zu Ideenreichtum und zum respektvollen und einfühlsamen Umgang mit Mensch und Natur ermutigt.

Eltern haben Vorbildfunktion

Dazu ist nötig, dass die Generation der Eltern und Großeltern sich erst einmal selbst mit dem Gedanken anfreundet, dass weniger mehr sein könnte. Glauben wir selbst, dass Sein wichtiger ist als Haben? Denn auch hier gilt: Vorbild und Einstellung der Eltern sind für Kinder stets prägender als Ermahnungen oder Belehrungen.

Kinder, die früh erleben, dass ihre Ideen und ihr Beitrag zum gemeinsamen Leben erwünscht sind und beachtet werden, erleben sich und ihr Tun als wertvoll. Schon kleine Kinder wollen sich beteiligen und etwas beitragen. Eltern tun ihren Kindern Gutes, wenn sie deren Ideenreichtum, Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen respektieren, statt auf eine vordergründig bequeme, sofortige verwöhnende Wunschbefriedigung zu setzen.

"Kinder brauchen zuallererst verlässliche Beziehungen und Kontakte, in denen sie sich ausprobieren und einbringen können", so der Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor Herbert Renz-Polster. Kinder sollten erleben können, wie befriedigend es ist, etwas selbst zu machen. Genau wie der Neurobiologe Gerald Hüther plädiert Renz-Polster dafür, Kindern die Gelegenheit zu geben, die Welt und die Natur beim Selbsttun und Begreifen zu entdecken und dabei ihre Sinne einzubeziehen. Das Experimentieren und Spielen mit Naturmaterialien könne die Achtsamkeit und Respekt für die Schöpfung wecken und fördern.

Psychologin: Sein ist wichtiger als Haben

"Für eine stabile Entwicklung des Kindes ist das Sein weit wichtiger als das Haben. Wenn die Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen, angemessene Kleidung, Bildung und Gruppenbezug erfüllt sind, leidet das Kind bei weiterer Knappheit in seiner Entwicklung kaum. Menschen in ärmeren Ländern entwickeln sich bei geringer materieller Ausstattung gesund und psychisch stabil", stellt die Pädagogin Pausewang fest.

Sie ermutigt Eltern dazu, eine "ökologische und global-soziale Ethik anzubahnen". Kinder, die erleben, dass ihre Eltern für diakonische, soziale oder ökologische Projekte Zeit und Geld einsetzen, werden auch als Erwachsene stark genug sein, eine Gesellschaft mitzugestalten, in der Wachstum und Wohlstand nicht mehr Hauptquelle von Lebenszufriedenheit sind.

Jonathans Eltern jedenfalls hoffen für Ostern auf gutes Wetter. Die Idee eines Picknicks im Freien jedenfalls findet auch Jonathan toll. Schließlich hat er beim Backen des Osterlamms geholfen. Ostereier gibt es natürlich auch – und wer weiß, vielleicht auch sonst noch eine Kleinigkeit, die der Osterhase tragen konnte.

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